Was sichtbar wird, wenn zwei Menschen nur noch reagieren
Manchmal spüre ich es schon, bevor ein Wort gesprochen wird.
Die Anspannung zwischen zwei Menschen, die sich einmal nah waren – und sich jetzt kaum noch zuhören können.
Ein Paar sitzt vor mir. Erste Sitzung.
Beide erzählen ein wenig, worum es geht.
Und gleichzeitig – reden sie selten wirklich.
Sie unterbrechen sich.
Korrigieren sich.
Schieben kleine Spitzen in die Sätze.
Sagen: „Das stimmt doch so gar nicht!“ – obwohl der andere nur beschreibt, wie es sich für ihn anfühlt.
Ich frage sie, wie es ihnen persönlich damit geht – und trotzdem reden beide immer wieder über den anderen.
Als wären sie Zuschauer ihres eigenen Lebens. Oder Ankläger im Prozess.
„Aber er hat doch…“
„Weil sie immer…“
„Ich sag das doch nur, weil…“
Und wenn ich sanft frage, ob sie denken, dass das hier eine normale Gesprächsatmosphäre sei – ein liebevoller, neugieriger Umgang miteinander – schauen sie mich irritiert an.
„Wie? Ich mache doch keine Vorwürfe.“
„Doch nur, weil er es falsch erzählt.“
Ich weiß, wie verletzlich dieser Moment ist.
Wie ertappt man sich fühlen kann.
Wie schnell man sich rechtfertigt: „Ich bin nur so, weil der andere…“
Und trotzdem:
Hier zeigt sich etwas.
Etwas Wichtiges.
Etwas Echtes.
Denn genau so wird oft gestritten, geredet, gerungen – zu Hause, im Alltag, in all den Momenten, in denen sich zwei Menschen nur noch gegenseitig berühren, um sich zu schützen.
Nicht um sich zu begegnen.
Was für ein schmerzlicher Punkt.
Und gleichzeitig:
Was für eine kostbare Chance.
Eine Chance, sich selbst wieder zu entdecken.
Nicht, indem man sofort alles anders macht.
Sondern indem man genau hinschaut:
Wie sage ich eigentlich etwas?
Wie klingen meine Worte – wie ist meine Körpersprache?
Wie fühlt es sich an, wenn ich spreche? Wenn ich schweige?
Es geht darum, sich selbst wieder beobachten zu lernen –
neugierig, offen, ohne vorschnelles Urteil.
Sich zu erlauben, wahrzunehmen, wie tief diese Muster sitzen.
Und genau dadurch entsteht etwas Neues:
Bewusstsein.
Veränderbarkeit.
Kontakt.
Der erste Schritt ist oft kein schönes Gefühl.
Aber ein wahnsinnig mutiger.



