Was ist die Gestalttherapie?
Die Gestalttherapie ist ein humanistisches, erlebnisorientiertes Psychotherapieverfahren, das in den 1950er-Jahren von Fritz und Laura Perls sowie Paul Goodman entwickelt wurde. Im Mittelpunkt steht der Mensch in seinem Erleben – mit allem, was ihn gerade bewegt: Gedanken, Gefühle, Körperempfindungen, Impulse und innere Bilder.
Gestalttherapie versteht den Menschen nicht als „gestörtes Objekt“, das repariert werden muss, sondern als lebendiges Wesen in Beziehung – zu sich selbst, zu anderen und zur Welt. Wenn es in unserem Leben stockt, wenn Konflikte immer wiederkehren, Beziehungen schmerzhaft verlaufen oder innere Leere spürbar wird, dann lohnt sich ein genauer Blick: Was will da eigentlich gesehen, gefühlt oder verstanden werden? Die Gestalttherapie hilft, diesen Fragen mit offenem Interesse und tiefer Präsenz zu begegnen.
Zentral ist dabei der Moment: Nicht die Vergangenheit an sich steht im Fokus, sondern wie sie heute – im Hier und Jetzt – wirkt. Viele unserer heutigen Muster und Reaktionen sind geprägt durch frühe Erfahrungen. In der Gestalttherapie werden diese Prägungen sichtbar und erfahrbar gemacht – nicht nur durch Worte, sondern durch ganzheitliche, verkörperte Prozesse.
Wie ist die therapeutische Haltung in der Gestalttherapie?
Eine der wichtigsten Grundlagen der Gestalttherapie ist die Haltung der Therapeutin oder des Therapeuten. Sie oder er begegnet dem Gegenüber nicht als „Expert:in über den anderen“, sondern als mitfühlende, wache Begleiter:in.
Diese Haltung ist geprägt von:
Kontakt und Präsenz: Wirklicher Kontakt entsteht, wenn die Therapeutin präsent ist – mit dem, was sie selbst fühlt und was sie im Gegenüber wahrnimmt.
Respekt und Augenhöhe: Die Klientin bleibt Expertin ihres Lebens. Die Therapeutin gibt keine fertigen Lösungen vor, sondern unterstützt den eigenen Prozess.
Wertschätzung des Moments: Was sich zeigt, darf da sein – auch Widersprüchliches, Schmerzhaftes, Unfertiges. Es muss nicht sofort „gelöst“ werden.
Verantwortung und Selbstklärung: In der Gestalttherapie geht es darum, Verantwortung für das eigene Erleben zu übernehmen. Nicht im Sinne von Schuld – sondern im Sinne von Selbstwirksamkeit und Selbstkontakt.
Diese Haltung schafft einen Raum, in dem echte Veränderung möglich wird: nicht durch Druck, sondern durch Wahrnehmung, Annahme und Erfahrung.
Mit welchen Methoden arbeitet die Gestalttherapie?
Gestalttherapie ist keine Gesprächstherapie im klassischen Sinne – auch wenn Sprache ein wichtiges Mittel ist. Sie ist eine erlebnis- und prozessorientierte Therapieform, die viele kreative und körperorientierte Methoden einbezieht. Ziel ist nicht das Verstehen „im Kopf“, sondern ein ganzheitliches Erleben und Verkörpern der inneren Prozesse.
Typische Methoden sind:
Arbeit im Hier und Jetzt: Die Therapeutin fragt oft: „Was spürst du jetzt gerade?“ – nicht, um zu analysieren, sondern um das unmittelbare Erleben zu fördern. Gefühle, Impulse und Gedanken dürfen bewusst wahrgenommen werden.
Dialogische Arbeit mit inneren Anteilen: In der sogenannten Stuhltechnik können verschiedene innere Stimmen oder Positionen miteinander in Kontakt treten – z. B. das verletzte Kind und der kritische Erwachsene. So wird innerer Konflikt äußerer Dialog.
Körperwahrnehmung: Der Körper wird als wichtiger Ausdrucksträger von Gefühlen verstanden. Körperimpulse, Haltung, Bewegung und Spannung geben Hinweise auf innere Zustände – und werden in die therapeutische Arbeit integriert.
Kreative Methoden: Gestalttherapie kann auch mit Symbolen, Bildern, Zeichnungen oder szenischen Elementen arbeiten. Sie ermöglicht damit Zugang zu unbewussten Themen – jenseits von Sprache.
Kontaktarbeit: Da viele unserer Verletzungen in Beziehung entstanden sind, geschieht auch Heilung wieder im Kontakt. Die therapeutische Beziehung wird zum Erfahrungsraum für neue, korrigierende Beziehungserfahrungen.
Fazit
Gestalttherapie ist ein tiefgehender, lebendiger Weg zu mehr Selbstkontakt, Klarheit und innerer Integration. Sie spricht nicht nur den Verstand, sondern auch Körper, Emotion und Intuition an – und bietet Raum für das, was oft im Alltag zu kurz kommt: wirkliches Spüren, echtes Erleben und heilsame Begegnung.
Wer sich auf diese Reise einlässt, kann entdecken, dass Veränderung nicht aus einem „Müssen“ entsteht, sondern aus dem mutigen Erkennen: So wie ich gerade bin – bin ich in Entwicklung.



